In einem Artikel aus der Zeitschrift „Lucifer“ von 1887/88, herausgegeben von H. P. Blavatsky, ist zu lesen: „Der Zweck der Religion liegt darin, die Menschheit zu trösten und in ihrem lebenslangen Kampfe mit der Sünde und dem Leiden zu ermutigen. Das kann sie nur tun, wenn sie den Menschen hohe Ideale für ein glücklicheres Leben nach dem Tode und eine würdigeres Leben auf Erden gibt, zwei Dinge, die durch bewusste Anstrengung erreicht werden können.“ Im Laufe der Menschheitsgeschichte bis in unsere heutige Zeit haben sich einige religiöse Hauptstränge herausgebildet. Dazu rechnet man heute, mit prozentualem Anteil an der Weltbevölkerung von ca. 8 Milliarden Menschen, die monotheistischen Religionen mit Christentum ca. 28,4%, Judentum ca. 0,2% und Islam 24,2%, sowie Buddhismus ca. 4,2 % und Hinduismus 15%. Regional gibt es spezifische Varianten, wie in China mit ca. 3,2%, und in manchen Teilen der Welt findet man sogenannte Naturreligionen. Leider war und ist die religiöse Ausrichtung innerhalb der Menschheit mit einem jeweiligen Anspruch auf alleinige Wahrheitsgültigkeit dessen, woran geglaubt wird, verbunden. Dieser Anspruch, dass die jeweils eigene Religion die einzig wahre sei, noch verbunden mit dem Wunsch der Beherrschung der Gläubigen, führte zu unsäglichen Kriegen zwischen den Gläubigen verschiedener Religionen bis in die heutige Zeit hinein. Gestützt wurde jeweils dieser Wahrheitsanspruch durch eine vielfältig berichtete und als religiös bekundete Erfahrung von Individuen. Einen Ausschnitt davon gibt das Buch des Sozialpsychologen William James über „Die Vielfalt religiöser Erfahrung“.
Eine Hauptthese in der Theosophie lautet, dass alle religiöse Orientierung der Menschen, wie immer die Varianten sind, aus einer einzigen Quelle gespeist wird. Diese Quelle findet sich in den alten Weisheitslehren. Ihr Ursprung, zurückliegend in grauer Vorzeit, wird vage im indo-germanisch-asiatischen Raum verortet und streute über die ganze Welt. Blavatskys Hauptwerk, „Die Geheimlehre“ ist eine Sammlung, ein Strauß, der noch verfügbaren Belege für diese einzigartige Quelle. So ist es denn auch die These, dass altes Wissen in die Religionen eingeflossen ist und sich in den jeweiligen heiligen Schriften nachweisen lässt. Das Erkennen der alten Weisheit ist nicht einfach, zumal unser Kommunikationsmittel, die Sprache, kaum für nicht-dingliche Zusammenhänge geeignet ist. Vieles muss erklärend umschrieben werden. In dem Vortrag ist dies am Beispiel des Johannes Evangeliums zu zeigen. Das Evangelium ist ein Schriftstück der christlichen Religion. Der Ausdruck „Religion“ - ist übernommen aus dem lateinischen „religio“. Sprachgeschichtlich steht „religio“ für sich mit dem Sinn von ehrerbietend, gewissenhaft, aufmerksam bedenken. Erst spätere christliche Kirchenväter verknüpften „religio“ mit dem lateinischen Verb „ligare“, was (an)binden heißt. Ein nächstverwandtes Verb zum Ausdruck „religio“ ist „diligere“ mit der Bedeutung von „hoch achten“, so der Etymologe Friedrich Kluge. Der römische Philosoph, Politiker und Schriftsteller Cicero (106-43 vor Chr.) meinte, „religio“ mit dem Verb „legere“, gleich lesen, verbinden zu müssen, um die Aufforderung zu begründen, es sollen doch wieder die religiösen Schriften gelesen werden. In diesem Sinne kann der Vortrag auch als ein neues Lesen einer religiösen Schrift verstanden werden.